Wie es Jolanda Spiess-Hegglin gelang, einen der mächtigsten Journalisten im Lande zu instrumentalisieren, um mit seiner Hilfe das Verbot des Buchs «Die Zuger Landammann-Affäre» publizistisch zu legitimieren – #hateleaks Teil 3.
Am 27. Januar 2022 setzte Pascal Hollenstein folgenden Tweet ab.
Arbeit werde tendenziell überschätzt, heisst es da. Der Welt mitgeteilt hat die Weisheit ein bärtiger Grauhaariger in einer verschneiten Winterlandschaft. Zum Zeitpunkt des Tweets war Pascal Hollenstein bekannt als Geschäftsleitungsmitglied des drittgrössten Schweizer Verlagshauses und irgendwie scheint er sich nicht wirklich darüber zu freuen, dass er mitten in der Woche auf die Langlauf-Loipe kann.
Was ist passiert? Hollenstein, heute Kommunikationsverantwortlicher im Departement von Karin Keller Sutter, hatte am 27. Januar 2022 seinen Kader-Job als Leiter Publizistik bei CH Media verloren. Der damals 51-jährige Journalist habe sich mit Verwaltungsratspräsident Peter Wanner auf eine Auflösung des Arbeitsvertrages verständigt, heisst es in der Medienmitteilung. Über die Gründe der Vertragsauflösung wurde Stillschweigen vereinbart.
Etwas mehr als zwei Jahre zuvor, am 28. April 2020, also am Eröffnungstag des «Anti-Binsi-Chats», schreibt Jolanda Spiess-Hegglin in einem «Appell» an die Chat-Teilnehmerinnen: «Ich habe mit Pascal Hollenstein gesprochen, welcher für die CH Media-Titel demnächst (wahrscheinlich übermorgen) mal rausgeht damit und eine breite Auslegeordnung macht.»
«Und so wär der Shitstorm koordiniert»
Hollensteins «breite Auslegeordnung» ist der Artikel, der das Buchprojekt gegen den Willen der Autorin öffentlich machen wird. Seine «Auslegeordnung» ist denn auch ein mit Jolanda Spiess-Hegglin und ihrer Anwältin Rena Zulauf minutiös abgestimmtes Pamphlet. Es wird der Startschuss einer monatelangen Hetzkampagne gegen die Journalistin werden. Spiess-Hegglin gibt im Chat ihren «Hündchen» Anweisungen, wie weiter zu verfahren sei: «Und dann wäre ich auf euch angewiesen. Bitte: empört euch. Ganz laut. […] Und falls ihr selbst entsprechende Erfahrungen mit dieser Frau gemacht habt, wärs nach der Publikation von CH Media der gute Zeitpunkt, davon zu erzählen.» Weiter: «Und wenn sich da niemand empört, will ich auswandern. Und so wär der Shitstorm koordiniert»
Drei Tage später, am 1. Mai 2020, schreibt Spiess-Hegglin in den Chat: «die zündschnur ist angezündet».
Hollensteins Artikel erscheint in der Luzernerzeitung unter dem Titel: «Ein ‘privates Racheprojekt’? Aufruhr um geplantes Buch zu Jolanda Spiess-Hegglin». Das Framing stimmt. Und dann gehts los. Spiess-Hegglins Trolle feuern aus allen Rohren ihrer echten und gefakten Accounts auf Binswanger: «ich wollte nicht damit beginnen, damits nicht allzu orchestriert aussieht (obwohl es das ja ist, schlussamend.)», schreibt die Anführerin.
Hollenstein wird im Mai 2020 in schöner Regelmässigkeit Artikel zur Sache Spiess-Hegglin vs. Binswanger veröffentlichen. Er fährt eine regelrechte Kampagne. Immer eskortiert vom Hass-Mob der Netzcourage-Chefin.
Hochverrat am Leser
Alimentiert wird Hollenstein von Spiess-Hegglins Anwältin Rena Zulauf. Zum Teil zitiert er aus Eingaben, von denen die Rechtsabteilung von Binswangers Arbeitegeberin Tamedia noch gar keine Kenntnis hat. Dies dankt er seiner Quelle mit der erwünschten Parteinahme.
Spiess-Hegglin darf sogar ganze Artikel vor ihrer Publikation lektorieren: «hab eben die artikel für montag gegengelesen. hollenstein bringts auf den punkt:»
Dass man als Journalist einen ganzen Artikel einer Partei zum «gegenlesen» gibt, ist höchst unüblich. Dass dies bei einer ganzen Reihe von Artikeln mit zuverlässiger Regelmässigkeit geschieht, gleicht einem Hochverrat am Leser. Jede kritische Distanz zum Thema ist so nur vorgetäuscht, denn der Inhalt ist mit einer Partei abgestimmt. Litigation PR, lautet der Fachausdruck dafür, übersetzt: Öffentlichkeitsarbeit im Rechtsstreit.
Es gibt einen Grund, warum im Journalismus sorgfältig getrennt wird zwischen redaktionellem Inhalt und Werbung, also PR. Er heisst Glaubwürdigkeit. Hollenstein wirft denn auch andere journalistische Grundsätze über Bord, etwa «audiatur et altera pars», also die andere Seite anzuhören. Man lässt sich ungern stören durch allfällige Argumente der Gegenseite. Pascal Hollenstein wurde von der Redaktion um eine Stellungnahme gebeten. Er liess die Anfrage jedoch unbeantwortet.
Auf Hollenstein ist Verlass, das weiss auch Spiess-Hegglin: «mit hollenstein von ch media läuft das amigs sehr fair.»
«Und Hollenstein unbedingt als Allierten behalten»
Roulette? Ja, es gibt auch in dieser Geschichte noch unberechenbare Journalisten, auch im Einflussbereich Hollensteins. Als im Dezember 2021 publik wird, dass der Verein Netzcourage die Finanzierung des Bundes verliert, erlaubt sich ein Journalist der CH Media folgende Kurzmeldung: «Jolanda Spiess-Hegglin führt den Verein Netzcourage, mit dem sie Hass im Netz bekämpfen will. Manchmal verbreitet sie jedoch selber Hass im Netz. Das Eidgenössische Gleichstellungsbüro, das den Verein mitfinanziert, hat deshalb diverse strategische Konzepte eingefordert. Die erhaltenen Antworten überzeugen das Gleichstellungsbüro jedoch nicht. Deshalb hat es die Auszahlung der Finanzhilfen beendet, wie es in einer Verfügung festhält.»
Die Empörung über Journalisten, welche die Faktenlage nüchtern wiedergeben, entlädt sich in einem weiteren Chat, welcher der Redaktion vorliegt.
L.R.: «Du kennst doch den Chefredakteur. Oder? Was ist wenn du ihm fragst? Ob es die Meinung der Zeitung sei, dass du Hass verbreitest? Ganz freundlich und nett? […]»
Jolanda Spiess: «ja voll. machi.»
Hansi Voigt: «Und Hollenstein unbedingt als Allierten behalten. Die Meldung ist sicher auf dem Mist vom Müller (Patrik Müller, Chefredaktor CH Media, Anm. d. Red.) gewachsen.»
L.R.: «Hollenstein war doch ein Freund»
Hansi Voigt: «Das soll er auch bleiben!»
Der Superchefredaktor als Büttel
Hollensteins Engagement in der Causa JSH fiel in der Branche auf. Als Spiess-Hegglins «Büttel» (niederer Botengänger) bezeichnete ihn ein Medienjournalist. Was ironisch ist, denn Hollenstein war keine junge, vom Feminismus entflammte Journalistin, die sich einer exklusiven Story über den Kampf einer Kämpferin gegen Hass im Netz auf der Spur wähnte. Er war damals Publizistischer Leiter von CH Media, der Chefredaktor aller Chefredaktoren. Ein höchst verantwortungsvoller Posten. Die Blätter, die er führte, verfügen über eine Gesamtreichweite von rund einer Million Menschen.
Wurden ihm seine Bütteldienste bei CH Media zum Verhängnis? Mit Sicherheit haben sie nicht geholfen. Das hat diese Redaktion aus gut informierten Kreisen erfahren. Sicher ist auch: Karma war es nicht.
Hat Pascal Hollensteins Engagement für Spiess-Hegglin seiner weiteren Karriere geschadet? Bis jetzt nicht. Nach einem kurzen Abstecher als Kommunikationschef beim Bundesamt für Umwelt ist er neuerdings Departmentssprecher bei Bundesrätin Karin Keller-Sutter.
Dieser Tweet wurde kurz nach Veröffentlichung gelöscht. Wieso? Spiess-Hegglin: «Sie nehmen die Besten». Wir werden sehen…
Kann Pascal Hollenstein mit der ihm übertragenen Verantwortung gewissenhaft umgehen? Hat er etwas gelernt? Der Fall Peter Lauener (der Departementssprecher von BR Alain Berset sass vier Tage U-Haft) sollte ihm eine Warnung sein.
Stay tuned for #hateleaks Teil 4! Wir machen kurz Pause über Auffahrt. Am Freitag gehts dann weiter…
9 Kommentare
Der passt aber wunderbar ins Bundes-Irrenhaus.
BR Keller-Sutter muss sich entscheiden. Wenn ihre Kommunikation glaubwürdig sein soll muss sie sich von Pascal Hollenstein trennen, wenn sie manipulierte, unglaubwürdige Kommunikation will hat sie mit Hollenstein den richtigen Mann!
Voigt behauptet, er sei nie in dieser Chat-Gruppe gewesen. Seine angeblichen Aussagen seien somit eine reine Lüge. Mit einer dokumentarischen Offenlegung seiner Aussage könnt ihr Klarheit schaffen.
Esst, was gar ist;
trinkt, was klar ist;
sprecht, was wahr ist!
Ich mache jetzt bei Zeile 2 weiter.
Anders lässt sich diese Verkommenheit kaum ertragen.
Unglaublich, was für Leute sehr gut von unseren Steuergeldern leben.